REFUGEES OF ERITREA – “Glaube ist Heimat”

PROLOG

Erfurt, 02:44 UHR / 07.Mai.2016. Samstagnacht, auf dem Weg von einer Party nach Hause. Gerade nähere ich mich der Brunnenkirche am Fischersand – da fällt mir eine Gruppe junger Afrikaner vor der Kirche auf. „Was macht Ihr zu dieser Zeit hier in der Kirche?“ frage ich. Adjam erzählt mir, dass heute viele Eritreer aus Erfurt und Gotha gekommen sind, um Gottesdienst zu feiern. Adjam ist ein junger Flüchtling aus Eritrea und lebt seit 4 Jahren in Deutschland. Immer mehr junge Eritreer begrüßen mich und geben mir ganz selbstverständlich die Hand. Adjam lädt mich ein, am Gottesdienst teilzunehmen.

REFUGEES OF ERITREA - Kirche ist Heimat
Als ich die kleine Kirche betrete, fallen mir am Eingang sofort ein großer Berg Schuhe auf. Ich ziehe meine, ohne lange zu überlegen auch aus. Die Kirche ist sehr gut gefüllt und es ertönt laute Trommelmusik und Gesang. Alles ist in Bewegung und es ist eine gewisse Aufregung und positive Spannung zu spüren. Ich falle auf, als einziger Hellhäutiger. Die Männer und Frauen mustern mich. Aber niemand sagt etwas. Ich bewege mich vorsichtig in Richtung Altar, um mir das Geschehen näher anzusehen.

Der Gottesdienst ist so ganz anders, als wir ihn kennen. Es ist wirklich Zufall, dass ich meine kleine Kamera dabei habe. Ich kann gar nicht anders und muß das jetzt einfach festhalten. Natürlich mit der Befürchtung im Hinterkopf, dass jemand mir zu verstehen gibt, dass das hier nicht erwünscht ist. Aber nichts passiert. Ich fotografiere. Die Menschen beachten mich nicht weiter.

KIRCHE, RELIGION & GLAUBE



Dem Gottesdienst folgen Männer und Frauen getrennt. Die Frauen sind in weiße Tücher gehüllt, die an die Schleier der Muslima erinnern, auch manche Männer sind verhüllt. Sie sind Mönche oder Priester. Viele von ihnen haben einen Gebetsstock aus Holz. Der Stock hat eine T-Form und erinnert an das Kreuz von Jesus Christus. Die Frauen tragen neben ihrem weißen Schleier sehr alten, wunderschönen Silberschmuck. An den Wänden hängen Gebetstücher mit tigrinischen Schriften und Symbolen aus der Eritreisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche.



Eritreisch-orthodoxes Kreuz

Die Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche (tigrinisch ተዋህዶ ቤተ ክርስትያን ኤርትራ Tewahədo Bet’ə K’rstian Ertra, italienisch Chiesa ortodossa Eritrea) ist eine christliche altorientalische Kirche in Eritrea. Die Kirche, die sich – auf historischen Beziehungen zur Koptischen Kirche aufbauend – infolge der Selbständigkeit Eritreas 1993 von der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche abspaltete, hat zwei Millionen Mitglieder in Eritrea. (Quelle: Wikipedia)



Der Gottesdienst wird von drei Männern mit großen Trommeln begleitet, während die kräftigen, klaren Stimmen der Gottesdienstbesucher einen schier endlos erscheinenden rhythmischen Gesang anstimmen. Alle haben ihre Hände zum Beten gefaltet. Man sieht Kinder schlafend zwischen den Gängen. Nur sehr wenige Frauen sitzen. Man spürt förmlich, wie wichtig ihnen dieser Gottesdienst ist.




Eine Gruppe junger Priester läuft im Mittelgang auf und ab. Sie haben einen weißen Schirm dabei. Einer der Priester hat ein Brokat-Tuch, in dem die Tigrigna (die Bibel in semitischer Sprache: auf Tigrinisch) eingewickelt ist. Er küsst die Bibel und drückt seinen Kopf darauf. Ein anderer trägt ein übergroßes Abbild von Jesus Christus mit gestreckten Armen über seinem Kopf.



Es wird Kerzendocht verteilt. Selbst gedreht in langen Schnüren. Ein alter Mönch entzündet ihn direkt vor dem mit Tüchern abgehangenen Altar. Wer kein Tigrinisch spricht, erkennt nur zwei Wörter, die immer wieder kehren: “Amen” und “Jesus Christus”. Sie küssen die Kirchenmauer und ziehen die Schuhe aus, weil die Kirche das wertvollste in Ihrem Leben ist. Für die Eritreäer ist Gott überall. Sie finden hier ihre Sprache, ihren Glauben und ihre Kultur, es ist wie ein “Stück Heimat”.



Die orthodoxen Christen aus Eritrea haben Durchaltevermögen. Ein solcher Gottesdienst dauert bis zu 4 Stunden. Ich habe noch nie so viele junge Menschen gesehen, die so stolz auf ihren Glauben sind und dies mit aller Überzeugung zelebrieren .


MEIN PERSÖNLICHES FAZIT

Betrachtet man die bisherigen Formen der Integration von Flüchtlingen in die Gemeinden und in unsere Gesellschaft, so ist das bisher einer der wenigen Möglichkeiten für die Menschen, ein Stück Heimat in der Fremde zu haben. Man kann hier nur der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt bzw. den Personen danken, die diese Kirche dafür bereitgestellt haben. Es ist einmal mehr die Religion, die hier eine Rolle spielt. Sie kann auch Menschen verbinden und einen Begegnungsort schaffen und das direkt vor unserer Haustür, hier in Erfurt/Thüringen.


INTEGRATION, HEIMAT & FLÜCHTLINGSPOLITIK

Es geht um Taschengeld und sichere Herkunftsstaaten, Schlepperbanden und Bearbeitungsfristen, Zeltlager und Containerdörfer, kommunale Überforderungen und humanitäre Pflichten. Die Flüchtlingspolitik hat viele Facetten. Eine Dimension aber ist bisher unterbelichtet worden: der Glaube, die Religion. Die Menschen, die nach Deutschland kommen, sind Entwurzelte. Viele sind traumatisiert, haben auf der Flucht Familienangehörige verloren, sie vermissen die Klänge, Gerüche und Gewohnheiten ihrer Heimat. Das neue Land ist ihnen fremd. Sie stehen vor der existenziellen Urfrage: Wer bin ich hier?


Wie der Glaube in der Fremde stärkt. Für viele Asylbewerber ist ihre Religion ein wichtiger Identifikationsanker.


In dieser Situation greifen viele auf den einzigen mobilen Identifikationsanker zurück, den es neben der Sprache und der Erinnerung gibt – den religiösen Glauben. Ihre Religion ist die Brücke, die die alte mit der neuen Welt verbindet. Gebete, Riten und Rituale, die in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten praktiziert werden, geben der wankenden Seele Halt. Soziale Netze werden in den Gemeinden geknüpft, Hilfen geleistet. Der Wert des gelebten Glaubens – über dessen intrinsische Qualitäten hinaus – für einen gelingenden Neuanfang in der Fremde lässt sich kaum überbewerten.

Paradoxerweise folge auf die Migration oft eine Hinwendung zur Religion, diagnostizierte vor zehn Jahren bereits der Netzwerkforscher und Soziologe an der Humboldt-Universität, Jan Fuhse („Religion in der Migration – Ein Blick auf das Einwanderungsland Deutschland“). Nachgewiesen worden sei das bei buddhistischen Vietnamesen und hinduistischen Tamilen ebenso wie bei türkischstämmigen Jugendlichen. Migranten müssten sich „ein neues Selbstverständnis entwickeln, sich ihre Identität im Spannungsfeld zwischen der eigenen Herkunft und dem Aufnahmekontext neu definieren“, schreibt Fuhse. Sie hätten „einen besonderen Bedarf an symbolischer Orientierung“. Der Bezug auf Religion erlaube „eine Aufwertung der eigenen Identität“.


Jesiden, Mandäer und Christen werden als Gruppenverfolgte eingestuft.


Viele Menschen, die in Deutschland Asyl bekommen, wurden in ihrer Heimat wegen ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt. Das gilt für Jesiden und Mandäer aus dem Irak ebenso wie für Christen aus Syrien, dem Irak und Eritrea. Für Flüchtlinge aus diesen drei Ländern gibt es ein beschleunigtes Asylverfahren. Dabei werden Jesiden, Mandäer und Christen als Gruppenverfolgte eingestuft.

Dramatisch ist die Lage für Christen vor allem auch in Eritrea. Nicht nur das christliche Hilfswerk „Open Doors“, Papst Franziskus und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) prangern regelmäßig die Verfolgung von Christen dort an, sondern auch Amnesty International kommt zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung der Religionsfreiheit auf dem afrikanischen Kontinent besonders in Eritrea hervorsticht. Den Anhängern staatlich nicht anerkannter Religionsgemeinschaften – das sind überwiegend evangelikale und charismatische Kirchen sowie Zeugen Jehovas – droht Haft und Folter.

Allen Menschen, besonders allen religiös verfolgten, muss es in Deutschland ermöglicht werden, ihren Glauben frei und ungehindert praktizieren zu können. Das ist ein konstitutiver Teil von pragmatischer Flüchtlings- und Integrationspolitik. Angst vor Abschottung, religiöse Indifferenz oder säkulares Desinteresse dürfen die Förderung gemeindlicher Neuorganisationen nicht behindern.

„Die Religion wird von Migranten als wichtiger Bezugspunkt für ihre Identität benutzt“, schreibt Fuhse. „Wenn dieser Religion staatlich und gesellschaftlich die Anerkennung verweigert wird, verstärkt sich damit auch die soziokulturelle Grenze zwischen einer Migrantengruppe und ihrer Umwelt – es kommt nicht zu weniger Abschottung, sondern zu mehr.“ Man kann es auch anders formulieren: Wer mit Pegida mitläuft, produziert jenen Salafismus, den zu bekämpfen sein Ziel war.

(Quelle: Tagesspiegel, Malte Lemming)


ERITREA – FLÜCHTLINGSTHEMATIK

Aus keinem anderen afrikanischen Land fliehen so viele Menschen wie aus Eritrea. Das Land ist von der Welt ähnlich abgeschottet wie Nordkorea, und die eritreische Diktatur offenbar auch ähnlich brutal. Wer noch einen Funken Körperkraft hat, muss als Soldat dienen oder auf Feldern und in Betrieben von Militärs arbeiten. Dieser Zwangs-Militärdienst verwandelt das ganze Land faktisch in ein Arbeitslager. So berichten es die Menschen, die die Flucht nach Europa oder Israel überleben. Viele ertrinken jedoch im Mittelmeer oder fallen auf der Sinai-Halbinsel Entführern in die Hände.

Die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer sind ständiges Thema in den Medien. Weniger bekannt ist: Kein anderes afrikanisches Land hat dort mehr Todesopfer zu beklagen als Eritrea. Der kleine und erst 22 Jahre alte Staat im Osten Afrikas. Bis zu einem Viertel der eritreischen Bevölkerung soll schon geflohen sein, etwa 70.000 von ihnen nach Deutschland. Aus keinem anderen afrikanischen Land fliehen so viele Menschen.


Tod im Gefängnis ist üblich


Die Regierung macht weder Angaben zur Gesamtzahl der Gefangenen, noch zur geographischen Lage der Haftanstalten. Tod im Gefängnis ist üblich. Gründe sind Misshandlungen, Folter, Hunger und die Verweigerung medizinischer Behandlung.


Der Zwangs-Militärdienst verwandelt das ganze Land faktisch in ein Arbeitslager. Militär ab der 12. Schulklasse


Auch die Vereinten Nationen kritisieren in ihrem Menschenrechts-Bericht die weitreichende Militarisierung des Landes. Schon die 12. Schulklasse findet in einem militärischen Ausbildungslager statt. Danach folgt nahtlos der Nationaldienst. Das Ende des Zwangsdienstes ist nicht klar definiert: Er kann vom 18. bis zum 50. Lebensjahr dauern, aber auch länger.

Diese Militarisierung der Gesellschaft hat drastische wirtschaftliche Folgen. Denn die Wehrpflichtigen bekommen umgerechnet nur 10 Euro im Monat als Sold. Auch in Eritrea reicht das bei weitem nicht zum Überleben. Es ist dieser verordnete, unter Umständen lebenslange Militär- und Nationaldienst, der viele in die Flucht treibt.


Der Führung geht es blendend


Die im Ausland lebenden Eritreer werden außerdem gezwungen, zwei Prozent ihres Einkommens an die eritreische Regierung zu zahlen, als sogenannte Wiederaufbau-Steuer. Wer das nicht tut, bekommt seinen Pass nicht verlängert und wird damit staatenlos. Früher wurde das Regime auch noch von Libyens Machthaber Gaddafi finanziert, doch seit dessen Sturz 2011 ist dieser Geldfluss versiegt. Nun versucht das eritreische Regime, Hilfsgelder von der Europäischen Union zu bekommen.

Agenturberichten zufolge ist Europa nicht abgeneigt. Details der Pläne sind nicht bekannt, dem Vernehmen nach geht es um mehr als 100 Millionen Euro. Offenbar hoffen die Brüsseler Diplomaten, dass die Finanzspritze für das Regime den Strom der eritreischen Flüchtlinge stoppt. Währenddessen geht es der politischen und militärischen Führung allerdings heute schon glänzend, trotz des Elends der Bevölkerung. Und die Beteiligung von Generälen am Menschenschmuggel haben Flüchtlinge gegenüber dem SWR bestätigt.

(Quelle: SWR2 Wissen, Bettina Rühl)


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